«Swiss Public Health Conference - Chancen und Herausforderungen der Personalisierten Gesundheit »
Personalisierte Gesundheit aus Public-Health Perspektive war das Thema der zweitägigen dieses Jahr in Basel stattfindenden Swiss Public Health Konferenz. Meine Begrüssungsrede drehte sich um Chancen und Herausforderungen dieses Wachstumsfeldes der Medizin. Es folgt in Auszügen und der Lesbarkeit halber leicht redigiert der Text der Rede vom Mittwoch, 22. November 2017.
"Das Swiss TPH hat massgeblichen Anteil daran, dass wir heute gemäss einer schweizerischen Zeitung zu den „Hauptstädten der massgeschneiderten Medizin“ zählen, zusammen mit der Universität, der Fachhochschule, der ETH, den Spitälern und den starken Pharma-Unternehmungen unserer Region, die gemeinsam den Life Science Cluster der Region Basel bilden.
Die Life Sciences sind für unsere Region prägend und identitätsstiftend, da sind unsere Ambitionen für einmal umgekehrt proportional zur Fläche unseres Kantonsgebiets. So will sich die Region Basel mit dem Thema der personalisierten Gesundheit als weltweit führendes Zentrum positionieren. Dies haben wir in der Life Sciences Strategie 2018-2021 formuliert, welche die beiden Kantone Basel-Landschaft und Basel-Stadt gemeinsam mit der Handelskammer beider Basel ausgearbeitet haben. Ziel der Strategie ist es, unsere Region zu einem führenden Standort für personalisierte Gesundheit zu machen und noch mehr junge Unternehmen anzuziehen.
Erste Erfolge lassen sich bereits sehen: Das Swiss Personalized Health Network ist lanciert, das Datenkoordinationszentrum wird am Swiss Institute of Bioinformatics in Basel aufgebaut, und erste Projekt-Finanzierungen konnten schon erfolgreich vergeben werden. Anlass zu Optimismus gibt dabei die enge Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Zentren unseres Landes, die selbstredend unabdingbar ist, um auf dem Datenozean navigierfähig und international konkurrenzfähig zu bleiben.
Wie jede neue Errungenschaft birgt auch die Personalisierte Gesundheit Chancen und Risiken, welche in einem breiten Diskurs aufgearbeitet werden müssen. Im Folgenden möchte ich drei Aspekten nachgehen, die mir aus einer politischen Perspektive als besonders relevant erscheinen.
Zunächst ist die Frage zu stellen, was Personalisierte Medizin für die Patientinnen und Patienten bedeutet. Es gibt wohl keinen kranken Menschen, der sich nicht eine auf ihn zugeschnittene medizinische Betreuung wünschen würde. Früher gab es in der Medizin nur sehr eingeschränkte Differenzierungs- und Stratifizierungsmöglichkeiten. Heute ist das anders. Wir können Diagnosen immer weiter spezifizieren und differenzieren, wir können Prognosen modellieren und wir können Behandlungen individualisieren.
Selbstverständlich gibt es da Risiken. Zum Beispiel ist es wichtig, die Resultate zuverlässig und kritisch kontrollieren zu können, Vergleichbarkeit herzustellen und ein Auge auf die hohen Kosten von Personalisierter Medizin zu haben. Über viele Behandlungen gibt es noch keine zuverlässigen Langzeitprognosen. Das bedeutet, die individuelle Wirkung einer Immuntherapie beispielsweise muss nicht unbedingt mit der allgemeinen Wirkung übereinstimmen. Darüber müssen sich die Patientinnen und Patienten klar werden. Ebenso müssen sie damit leben, dass es allenfalls noch weniger verlässliche Daten über Wirksamkeit und Sicherheit von individualisierten Behandlungen gibt. Im Sinne der Informierten Einwilligung gilt es, sich aktiv mit der eigenen gesundheitlichen Situation auseinanderzusetzen, um die Implikationen von Therapien, Eingriffen oder Medikamenten selbst einschätzen zu können.
Das bringt mich zur zweiten Frage: Wer profitiert von der Personalisierten Medizin? Expertenwissen bleibt heute nicht allein den Spezialisten vorbehalten, sondern kann von Privatpersonen beliebig digital abgerufen werden. Je mehr der Patient zum mündigen Partner des Arztes wird, desto mehr steigen seine Ansprüche. Auf Seiten der Wissenschaft wiederum wachsen die Kenntnisse, sodass die Diagnosen immer präziser und die Therapien immer besser angepasst werden können. In diesem Sinne ist es ein Ziel der Personalisierten Gesundheit, unnötige oder mehrfache Behandlungen zu vermeiden und letztlich die Behandlungs- und Lebensqualität der Patienten zu steigern. Gerade durch die neuen Möglichkeiten der Personalisierten Gesundheit gewinnt Prävention an Bedeutung, indem zum Beispiel Krankheitsrisiken früh erkannt und Gesundheitsstrategien für die Betroffenen entwickelt werden können.
Der Nutzen scheint klar gegeben zu sein. Aber wenn es in der Gesundheitspolitik in Zukunft um mehr gehen soll als um die Krankenkassenprämien, dann müssen wir diesen Nutzen für den politischen Diskurs anschaulicher darstellen lernen. Sprechen wir vom individuellen Nutzen für die erkrankten Personen, fassbar zum Beispiel in gewonnenen Lebensjahren? Sprechen wir vom volkswirtschaftlichen Nutzen, indem die Arbeitskraft oder sonstige wirtschaftlich und gesellschaftlich bedeutsame Funktionen wie Familienbetreuung erhalten bleiben? Das sind Ansatzpunkte für eine Nutzenquantifizierung. Die sind wichtig, aber sie müssen in vielen Fällen scheitern: Wenn ein dreijähriges Kind von einer seltenen Krankheit geheilt wird, statt daran zu sterben. Interessiert da die wirtschaftliche Dimension überhaupt? Wer will da ernsthaft einen Business Case sehen?
Anders ist das auf der Kostenseite. Die hohen Kosten von neuartigen, oft stark differenzierten oder gar personalisierten Therapien sind bereits ein kontrovers diskutierter Aspekt der Personalisierten Medizin. Ich glaube nicht, dass sich in unserem wohlhabenden demokratischen Umfeld echte Fortschritte in der Wissenschaft aus ökonomischen Überlegungen werden bremsen oder in ihrer Verwendung massiv einschränken lassen. Deshalb rückt für mich die Verantwortung der Industrie in den Vordergrund, insbesondere der Pharma und der Medtech-Industrie. Sie müssen zeigen, dass sich die Kosten bei der Ausweitung der Anwendung von neuen Technologien und beim Upscaling der Produktion nachhaltig senken lassen. Dann wird sich dafür mit der Politik auf eine faire und innovationsfördernde Abgeltung vereinbaren lassen.
Eine dritte wichtige Frage, die im politischen Diskurs regelmässig gestellt wird, ist diejenige nach dem Datenschutz. Versinkt unser Anrecht auf Privatsphäre im Meer der Datenbanken? Werden wir zu „gläsernen Patienten“? Diese Furcht wird oft geäussert, und sie ist auf den ersten Blick verständlich. Jedenfalls solange man sich nicht ernsthaft vergegenwärtigt, welche Daten und Informationen gewisse Zeitgenossen aus völlig anderen als gesundheitlichen Gründen ins Netz stellen.
Hier ist die Politik gefordert. Der Gesetzgeber muss sicherstellen, dass der und die Einzelne die Kontrolle über ihre Gesundheitsdaten behalten kann und ihr durch Lecks keine Nachteile entstehen. Ich meine, dass diese Kontrolle und ein adäquater Missbrauchsschutz heute sichergestellt sind. Das öffentliche Vertrauen in diesen Schutz scheint aber nicht gesichert zu sein, und das bereitet Sorge. Denn Daten sind das Gold des 21. Jahrhunderts. Ihre Werte gewinnen sie durch Kompilation und Vernetzung. Mit Hilfe von grossen Datenbanken und Datenaustausch lassen sich wichtige Erkenntnisse ziehen, die zur Früherkennung und Behandlung von Krankheiten letztlich der ganzen Bevölkerung dienen. Je grösser und ausdifferenzierter der Informationspool, desto besser lassen sich Krankheiten erkennen, therapieren und heilen. Hier überschneidet sich Personalisierung und Big Data, die Trends gehen Hand in Hand und widersprechen sich nicht.
Wir müssen uns folglich ehrlich die Frage stellen, ob unsere Regulierungen und Organisationsformen diesbezüglich zukunftsfähig sind. Letzte Woche hat mir eine Forscherin im Gespräch mitgeteilt, der Anteil von allen Patientinnen und Patienten in den Schweizer Unispitälern, die tatsächlich einen rechtsgenüglichen Informed Consent abgeben, liege nach fundierten Schätzungen im einstelligen Prozentbereich. Das hat mich schockiert, und ich hoffe, dass diese Schätzungen einer harten wissenschaftlichen Überprüfung nicht standhalten oder bald von einer besseren neuen Realität abgelöst werden."
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