«Wochendiagnose: Mehr als Western»
Aufgrund eisiger Kälte mussten die Inaugurationsfeiern in Washington in die Rotunda des Kapitols verlegt werden. Die politischen Botschaften des neuen Präsidenten waren trotzdem eiskalt: Er nutzte den Amtsantritt für Ankündigungen und Drohungen, die besser in einen Western gepasst hätten als in die Hallen des Parlaments. Dahinter scheint eine Strategie der Radikalisierung zu stehen, die auf Überraschungseffekte und die Erschöpfung der Empörung setzt und Scheinfakten schafft.
Wer daran festhält, dass der Westen mehr ist und mehr bleiben soll als Western, ist echt herausgefordert. Die reflexartige Skandalisierung hat als Gegenstrategie allerdings ausgedient. Ihre Schwäche liegt unter anderem darin, dass sie dem Grenzverschieber die Handlungshoheit überlässt.
Gefragt ist vielmehr eine engagierte Besinnung auf die Werte, die hinter den attackierten Institutionen stehen. Errungenschaften wie Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte sind offensichtlich vielen selbstverständlich oder vielleicht sogar etwas unwichtig geworden. Sie müssen ebenso neu erklärt und begründet werden wie die Notwendigkeit internationaler Zusammenarbeit zur Lösung globaler Probleme wie Klimaschutz oder Pandemieabwehr. Und ja, in einzelnen Punkten kann provokativ überrissene Kritik auch einen wahren Kern haben, was dann ernsthaft zu diskutieren ist.
Unsere direkte Demokratie bietet dafür den idealen Rahmen. Sie zwingt uns dazu, diese Diskussionen laufend zu führen, ständig am Fundament des Staates zu arbeiten. Das ist meistens nicht ganz grosses Kino, dafür ein guter Film.
Zurück